(Anna)
Es war der 20. Dezember 1977 und bald stand Weihnachten vor der Tür. Die Ferien hatten bereits begonnen und der Großteil der Schüler war auch nach Hause gefahren, um mit seinen Eltern die schönste Zeit im Jahr zu verbringen. Weihnachten, die schönste Zeit im Jahr, diese war für Anna White wohl wahrlich die schrecklichste Zeit im Jahr, denn die Gryffindor konnte keinen Funken Freude für dieses Fest empfinden. Zwar liebte die Dunkelhaarige den Schnee und auch allgemein den Winter, aber das Fest an sich gehörte nicht unbedingt zu ihren Lieblingsfeierlichkeiten im Jahr. Schon als sie klein gewesen war, hatte sie dieses heuchlerische Weihnachtsfest, der Tag an dem angeblich alles in Ordnung und perfekt war, mehr als nur verabscheut. Anna hatte schon damals keinen Sinn darin gesehen, an einem einzigen Tag im Jahr so zu tun als wäre alles perfekt und als wären sie die Traumfamilie schlechthin. Im Grunde genommen hatte sie auch nichts gegen Weihnachten, aber in ihrem Leben war wohl alles so verlaufen, dass sie selbst an diesem Fest keine Freude mehr finden konnte. Ihrer Meinung nach wurde es einfach von Jahr zu Jahr schlimmer und dass sie wieder einmal recht behalten hatte, wurde Anna dieses Jahr aufs Neue bewiesen. Das Mädchen mochte Bälle und Partys und wie sie diese liebte, doch in den letzten Jahren war sie irgendwie froh darüber gewesen, wenn nicht zu viele Festlichkeiten und Veranstaltungen an Hogwarts stattgefunden hatten. Diese arteten bei Anna nämlich meist in einer kleinen, oder eher größeren Katastrophen aus, jedenfalls seit dem Weihnachtsball der 4. Klasse. Sie betrank sich maßlos, redete irgendwann nur noch den größten Schwachsinn, knutschte mit Unmengen an Typen rum und wusste am nächsten Tag nicht mehr wirklich, was sie am Vorabend alles verbrochen hatte.
Ebenfalls war Anna eine der einzigen Schülerinnen die nie Geschenke per Post bekam, oder sonst irgendwie von den wundervollen Weihnachtsfesten in ihrer Kindheit schwärmen konnte, geschweige denn verfiel sie zu dieser Zeit in heitere und fröhliche, ausgelassene Stimmung. Es gab wohl auch andere Personen, denen es vielleicht genauso erging, aber diese Personen schien das, laut Annas Meinung nach, wenig bis gar nicht zu interessieren. Doch wie Anna zu Weihnachten und der Festlichkeit an sich stand, das wusste wohl nur das Mädchen selbst. Alle Jahre wieder...und alle Jahre dasselbe... dachte sich die Dunkelhaarige, als sie betont leise die Treppe zu den Jungenschlafsälen nach oben stieg. Sie wusste nicht ob die Marauder anwesend waren, oder sich wieder irgendwo in Hogwarts herumtrieben um irgendwelchen Unsinn anzustellen. Aber ehrlich gesagt wäre Anna die zweite Möglichkeit weitaus gelegener gekommen als die Erste. So schlich Anna, für ihre Verhältnisse langsam und darauf bedacht keinen Ton von sich zu geben, die Gänge entlang und hoffte, dass keine Diele, auf die sie einen Fuß setzte, urplötzlich zu Knarren begann. Ohne große Vorfälle war sie schließlich schnell beim Rumtreiberschlafsaal angekommen und öffnete ohne anzuklopfen, oder lange darüber nachzudenken die Türe, nur um den Raum in völlige Dunkelheit getaucht vorzufinden. Ungläubig starrte Anna den düster wirkenden und etwas fruchteinflößenden Raum an, bevor sie verwirrt das Gesicht verzog und selbst nicht glauben konnte, was sie wohl gerade sah.
Die werden doch jetzt wohl wirklich nicht schon schlafen? Was ist bloß aus den Rumtreibern geworden? Und das an einem Samstagabend der noch voller Überraschungen und Abenteuern stecken könnte. Ich glaub ich bin im Altersheim und hier die Krankenpflegerin oder sonst was…, ging es der Gryffindor durch den Kopf, bevor sie ihre Fassung wieder erlangt hatte. Um nicht doch noch einen Lachanfall zu erleiden, hatte Anna all diese, wenn auch etwas witzigen Gedanken, schnell wieder verworfen und mit einem geschickten Schwung ihres Zauberstabes die Fackeln im Raum angezündet. Nun fand sie den Schlafsaal hell erleuchtet vor, nur um schlussendlich vor fünf leeren Betten zu stehen. „Huch“, entfuhr es der Gryffindor daraufhin, bevor sie doch irgendwie ein klein wenig erleichtert aufseufzte und ohne sich weiter umzublicken, oder noch mehr Zeit zu verschwenden, James‘ Bett ansteuerte. Wissend wo sie suchen musste und ohne groß zu überlegen, kramte sie kurz in der obersten Schublade seines Nachtschrankes, bevor sie einen schön glänzenden und geschmeidigen Umhang und die Marauders Map, daraus hervorzog. Tja, da war ich wohl heute schneller was?, ging es dem Mädchen durch den Kopf, bevor sie die Karte und den Umhang in ihre magisch vergrößerbare Tasche stopfte. So leise wie sie gekommen war, verschwand Anna schließlich auch wieder und keine Menschenseele hatte bemerkt, dass um diese Uhrzeit überhaupt noch jemand den Jungentrakt betreten hatte.
Im Gemeinschaftsraum angekommen herrschte schon vollkommene Stille und so konnte die Gryffindor es wagen, ohne groß in Eile zu verfallen, sowohl den Umhang, als auch die Karte wieder aus ihrer Tasche zu ziehen. Mit ihrem Zauberstab tippte Anna kurz einmal gegen die Karte und murmelte „I solemnly swear that I’m a Marauder and I’m up to no good“, bevor sich das Stück Pergament wie von Zauberhand entfaltete und plötzlich einen Lageplan des ganzen Schlosses präsentierte. Mit geschicktem und geschultem Blick studierte das Mädchen die Karte und machte sich geistig einige Notizen, bevor sie das Stück Pergament schnell wieder zusammenfaltete und in ihrer Tasche verschwinden ließ. Okay, die Jungs sind in der Küche, Filch streunt im Ostflügel umher und Gonni macht eben Patrouille im 5. Stock. Wo Evans ist weiß ich nicht…aber besser sie ist nicht da…als sie verpestet die Luft, waren die Worte die Anna durch den Kopf gingen, bevor sie doch noch ein leicht erfreutes Grinsen aufsetzte. Perfekt, besser kanns doch nicht laufen…, waren die letzten Gedanken, die der Dunkelhaarigen schließlich noch durch den Kopf gingen, bevor sie wieder in ihre eigentliche Weihnachtsstimmung verfiel. Diese bestand aus Trübsal blasen, leicht depressiv sein und so durch die Gegend zu laufen, als wäre jemand gestorben. Danach hatte sie sich ihre Tasche erneut über die Schulter geworfen und schnell den Umhang über sich ausgebreitet, bevor sie aus dem Porträt der Fetten Dame huschte und schließlich die dunklen und leeren Gänge von Hogwarts entlang lief.
Nach ungefähr vier weiteren Minuten, die die junge Gryffindor im leichten Laufschritt zurückgelegt hatte, war sie endlich am Fuße der Treppe, die zum Astronomieturm hochführt, angekommen. Leicht aus der Puste gekommen machte sie an dieser Stelle eine kurze Pause und starrte fast voller Ekel und Abscheu das steinerne Gemäuer an, welches noch vor ihr lag. Schnell verwarf sie die Gedanken jedoch wieder, irgendetwas an ihrem allabendlichen Ritual verändern zu wollen und setzte mechanisch einen Fuß vor den anderen um den hohen Turm zu besteigen. „361, 362 und 363, na endlich“, waren die Worte des Mädchens, als sie endlich die Unendlichkeit der steinernen Stufen hinter sich gelassen hatte. Oben, am Astronomieturm angekommen, atmete Anna erst einmal die kühle und erfrischend klare Winterluft ein und genoss einfach die unendliche Stille um sich herum. Eine leichte, winterliche Brise wehte über den Astronomieturm, doch auch dies machte Anna nichts aus, denn draußen, in der Dunkelheit fühlte sie sich einfach frei, zwar einsam und alleine, aber frei. Selbst bei ihren besten Freunden konnte sich die Dunkelhaarige nie so gehen lassen wie hier. Immerhin hatten diese schon genug Probleme und als gute Freundin wollte man doch den anderen helfen und ihnen nicht noch mehr Lasten aufbürden. Dies war jedenfalls Annas Meinung zu diesem Thema. Sie half wo sie kann, aber ihre eigenen Probleme verdrängte sie wohl einfach lieber. Nach ungefähr 5 weiteren Minuten, die Anna fast wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen waren, bewegte sie sich wieder leicht und ging zur Nordseite des Turms.
Von dort aus, hatte sie in den letzten Jahren herausgefunden, besaß man einfach eine wunderbare Aussicht über das gesamte Gelände von Hogwarts und dieser Ausblick faszinierte die junge Gryffindor wohl jedes Mal aufs Neue. Kurz ließ sie ihre Blicke über die Ländereien schweifen, bevor sich wieder andere und weitaus schlimmere Gedanken in ihr Hirn brannten. So wandte sie den Blick von den Ländereien ab und ließ sich langsam an der kalten Steinmauer nach unten rutschen, bis sie mit angezogenen Beinen auf dem steinernen Boden saß. Sie stellte ihre Tasche neben sich ab und zog daraufhin den Tarnumhang von sich, nur um diesen daraufhin unordentlich und zusammengeknüllt in ihre Tasche zu stecken. Noch einmal tief die frische Winterluft einatmend beobachtete sie vereinzelte Schneeflocken die sich auf dem Turm, ihrem Umhang und wahrscheinlich auch ihrem Haar niederließen. Ein weiteres Mal riss sich die junge Gryffindor aus ihrer Starre. Dieses Mal endgültig. Sie begann in ihrer kleinen, jedoch magisch vergrößerbaren Tasche, zu kramen und veranstaltete ein regelrechtes Chaos, bis sie die noch bis obenhin gefüllte Feuerwhiskyflasche und eine Packung Zigaretten fand.Mit einem tiefen Seufzer lehnte sich die Dunkelhaarige schließlich an das steinerne Gemäuer und begann umständlich und mit leicht nervös, zittrigen Fingern am Verschluss der Flasche zu schrauben. Angesäuert, dass immer alles so umständlich sein musste, stampfte Anna einmal mit dem Fuß auf, bevor sie mit ihrer Faust gegen die steinharte Mauer schlug und diese Aktion natürlich gleich darauf wieder bereute.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht begann sie ihre rechte Hand hin und her zu schütteln und verdrehte ungläubig, über sich selbst, die Augen. „Verdammt, arrg, wieso immer ich, wieso? Wieso kann nicht einmal etwas in meinem verdammten Leben unkompliziert sein?“ Weil das eben so ist, dazu bist du geboren und daran wirst du auch nichts ändern können…, hallte es schon kurz darauf in ihren Gedanken wieder und Anna wusste, dass diese recht hatten und dass dies die Antwort auf ihre Frage war. „DAS WOLLTE ICH VIELLEICHT GAR NICHT WISSEN“, brüllte sie daraufhin über den Astronomieturm, denn von ihren Gedanken würde sie sich den Abend bestimmt nicht vermiesen lassen. So verwarf sie alle trüben Gedanken und nahm erst einmal einen kräftigen Schluck aus ihrer Feuerwhiskyflasche, bevor sie etwas erleichtert ausatmete. Der brennende, leicht scharfe Duft des Getränks stieg Anna in die Nase und auch als sich die Flüssigkeit langsam und leicht brennend einen Weg durch ihren Hals bahnte fühlte sich das Mädchen so leicht und befreit wie selten. Zum Schluss zündete sie sich noch eine ihrer Zigaretten an und nahm einen kräftigen Zug von dieser, bevor sie ihren Gedanken verfiel. Doch nur fünf Sekunden später schreckte sie wieder, mit einem Blick als stände ihr Voldemort persönlich gegenüber, auf und starrte gebannt Richtung Tür. Mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen lauschte sie gebannt dem hallenden Geräusch, welches wohl von den Schritten einer Person verursacht wurde. Doch wer würde um diese Zeit noch den Astronomieturm betreten?