Einstiegspost
Mit gesenktem Kopf huschte Polli hinter ihrer Schwester her, ohne dass diese auch nur die geringste Notiz von ihr nahm. Catherine war zu sehr damit beschäftigt ihr Spiegelbild in jedem Regentropfen genau zu betrachten und sich mal wieder zu sagen, wie wunderschön sie war.
Das war sie auch, fand, Polli und beobachtete ihre Schwester mit einem stolzen Lächeln.
Obwohl sie einige Zentimeter kleiner als Polli war, schien sie sie zu überragen, aber vor allem zu überstrahlen mit all ihrem Glanz und ihrer Schönheit.
Schön war Apolline auch, aber sie versteckte jeden Funken Ausstrahlung hinter ihrem Kokon aus Zurückhaltung und Schüchternheit.
Nur ihr tänzerisches, leichtfüßiger Gang, auch jetzt in den festen Gummistiefeln über das feuchte Pflaster, wo einige andere schon ins Rutschen gerieten, verriet das auch durch Pollis Adern das gleiche Veelablut floss.
Unvermittelt blieb Polli stehen, die grau-blauen Augen auf eine Kinderzeichnung gerichtet, die vor ihr in einer Pfütze schwamm. Die Farbe verblassten schon längst im trüben Regen, vermischten sich zu einem bunten Rinnsal, der langsam in den Boden sickerte und auf dem Kopfsteinpflaster einen Hauch von Farbe hinterließ.
Polli bückte sich, fischte das tropfende Papier heraus und betrachtete lächelnd die letzten farbigen Überreste einer gemalten Landschaft. Mithilfe ihrer Fantasie und einem, leise in die Septemberluft gehauchten Zauber, wurde das Grün der Wiese wieder satter, der Himmel fand seine tiefblaue Farbe zurück, die strahlende Sonne spiegelte sich in goldenen Flecken in Tautropfen wieder und tiefroter Klatschmohn übersäte die gemalte Wiese.
Das Bild noch immer in den kleinen Hand hob Polli den Blick und sah sich suchend nach einem kleinem Kind um, das diese Zeichnung verloren haben konnte.
Vergeblich, doch dabei bemerkte sie gerade noch wie Catherine eine Kutsche bestieg und zuvor einen jüngeren Schüler ziemlich anfauchte.
Polli beschleunigte ihren Schritt, denn sie wollte unter keinen Umständen mit wildfremden Menschen in einer Kutsche sitzen, ganz alleine, ohne ihre ältere Schwester.
Die Vorstellung allein bereitete ihr Unbehagen, was sich in einem kühlen Schauer ausdrückte, der ihr über den schmalen Rücken fuhr, jeden einzelnen Wirbel berührte und sie zwang sich doch ein winziges Stückchen aufzurichten.
Jetzt überragte sie mit ihren fast 1.80 wirklich jedes Mädchen in ihrer Nähe und sofort spürte sie, wie sich einige Blicke auf sie richteten.
Jedes Augenpaar glich einem Nadelstich, brannte und prickelte heiß auf ihrer Haut und Polli rannte los, in Richtung der Kutsche, nur um das Gefühl endlich abzuschütteln.
Sie spürte den Kies durch ihre dicke Gummisohle kaum, sah nur wie vor ihr immer wieder einige kleinere Steine aufgewirbelt wurden, kaum das jemand einen Schritt tat.
Sie hingegen hinterließ nur hauchdünne Abdrücke, als würde sie kaum den Boden berühren, sondern sanft darüber wehen.
Der Junge, der eben noch von Catherine zurecht gewiesen wurde, stand noch immer ziemlich erschrocken da und in Apolline regte sich ein schlechtes Gewissen stellvertretend für ihre Schwester.
„Verzeih ihr, ja? Sie ist sonst ganz anderes. Voilà, das schenke ich dir.“, wisperte sie leise wie der Wind ans Ohr des Jungen und legte ihm das Bild in die Hände. Sie berührte ihn dabei nicht, noch sah sie ihn an und dann, kaum dass er verwundert geblinzelt hatte, war sie auch schon weg und hatte ebenfalls die Kutsche erreicht.
Die Thestrale konnte sie sehen, Oscars Tod hatte sie gemeinsam mit ihrer Großmutter gesehen, weshalb sie auch jetzt wieder stehen blieb und sie beobachtet, statt sofort einzusteigen.
Auch sie waren schön, auf ihre ganz spezielle Art und Weise und mit welcher Anmut sie die Kutschen zogen, ganz mühelos, als würden die 5 bis 6 Schüler in jeder Kutsche nur aus Luft bestehen, beeindruckte Polli.
Sie passten wunderbar in das raue, düstere Bild, welches sie sich von Schottland gemacht hatte, bevor sie aufgebrochen waren. In Beauxbatons, so war sie sicher, hätte man niemals diese knochigen, gemeinhin als hässlich bezeichneten, Wesen eine Kutsche ziehen lassen. Es passte nicht in das Bild von Prunk und Schönheit, was man vermitteln wollte.
Wenn sie nicht in diesem Moment einen herben, männlichen Duft wahrgenommen hätte, Polli hätte wohl noch ewig unbewegt im Regen gestanden und darüber nachgedacht.
Jetzt allerdings, sah sie erschrocken, wie ein Junge zu Catherine in die Kutsche stieg.
Auch er hatte sie wohl nicht bemerkt und Polli überlegte, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, dass sie vielleicht ganz am Ende noch eine ganz leere Kutsche finden würde, in der sie alleine nach Hogwarts fahren konnte.
Aber die Sehnsucht nach ihrer Schwester, die Sicherheit, die diese ihr gab, dass auch hier in der Fremde, alles gut werden würde, überwog das Unbehagen, was sie wegen des Jungen verspürte und so stieg sie nach ihm in die Kutsche.
Sein Geruch hatte inzwischen den ganzen Innenraum erfüllt, überlagerte sogar noch den des Regens und des feuchten Holzes und er war so interessant, dass Polli unter ihrem Wimpernkranz neugierig in seine Richtung linste.
In einer fließenden Bewegung hatte sie neben ihrer Schwester Platz genommen, „Hey“ zur Begrüßung gehaucht, weil sie genau wusste, dass sie für Cat nicht lauter sprechen musste und flüchtig nur über ihre Schulterblätter gestrichen.
Sie hoffte, dass er ihren Blick nicht spüren würde, dass er sich einfach wie jeder andere auch, von Cats Ausstrahlung blenden lassen würde, so dass sie ihn in aller Ruhe mustern konnte.
Nicht nur sein Geruch, der sie in seiner Frische, an einen Spaziergang im Wald erinnerte, erweckte Pollis Interesse. Es war seine Stimme, die sie fesselte, obwohl er nur eine kurze Begrüßung in Richtung ihrer Schwester gesprochen hatte.
Dunkel, leicht rau, weil sie wohl auch schon länger nicht benutzt worden war und mit schottischen Akzent unterlegt, der Polli gleich an die Geschichten von tapferen, starken Highländern denken ließ.
Ihr Blick wanderte zu seinem Händen, als er den Zauberstab zückte und sich mit einem Zauber trocknete. Die Finger waren lang und schlank. Perfekt zum Klavierspielen, dachte sie im stillen und irgendwie hoffte sie, dass er es wirklich tat.
Weil eigentlich jeder Klavierspielen sollte, so wunderschön wie es war, wenn man die kühlen, seidigen Tasten berührte.
Ein wohliger Seufzer entrang sich ihrer Kehle, so leise, dass er vom Rauschen des Regens geschluckt wurde.
Sanft drückte sie sich noch etwas näher an Cat, die für sie die Sicherheit bedeutet, dass Matt kein Wort mit ihr Wechseln würde.
Jeder interessierte sich nur für ihre Schwestern, sobald diese begann sich in den bewundernden Blicken zu aalen. Im Gegensatz zu Polli, die unter jedem noch mehr in sich zusammen sank, schien Cat zu wachsen und noch leuchtender zu werden. Und bei einem gutaussehenden Jungen, wie ihr Gegenüber es zweifellos war, würde es sicher noch schneller gehen.
„Frag ihn, ob er Klavier spielt.“, flüsterte sie ganz leise, wobei sie kaum die Lippen bewegte und noch immer jeden direkten Blick zu Matt vermied.
Ihr Herz begann schon zu klopfen, wenn sie sich nur vorstellte, dass er sie länger ansehen würde, betrachten, wie ein Kunstwerk, was man erwerben wollte oder noch schlimmer musterte als wäre sie Vieh auf dem Markt.